Wir stehen tagtäglich vor neuen Entscheidungen in unserem Leben. Manche von ihnen sind leicht zu treffen, manche von ihnen kosten viel Mut und Kraft. Viele Entscheidungen schieben wir hinaus und warten auf den „richtigen“ Zeitpunkt.
Wann ist der „richtige“ Zeitpunkt da? Dann, wenn unser Konto satt im Plus ist oder wenn wir wieder in die Hose von vor 5 Jahren passen? Kennen Sie auch die innere Stimme, die sagt: „Jetzt nicht, weil …“? Die Gründe gegen das „Jetzt“ sind endlos: Es geht jetzt nicht, weil das Kind krank ist, man Stress mit dem Lebenspartner hat oder im Job so viel zu tun ist. Wir sind nicht wählerisch im Erfinden von immer neuen Gründen, warum gerade jetzt nicht der „richtige“ Zeitpunkt ist um die Veränderung zu beginnen.
Warum tun wir uns eigentlich so schwer, für uns wichtige Entscheidungen zu treffen und Veränderungen zu beginnen?
Ein kleines Beispiel: Wir stehen vor dem Kühlregal und haben einen undefinierten Gusto nach einem Joghurt. Wir wissen nicht genau, welches Joghurt es sein soll. Wir wissen nur, es soll Joghurt sein. Es gibt Joghurt mit Früchten, mit Vanille-, Schokolade- und Kaffeegeschmack, mit Süßigkeiten oder einfach nur pur. Was machen wir? Wir nähern uns an und nehmen dann eines, von dem wir wissen, dass es uns schmecken wird und es nicht ganz unseren Wünschen widerspricht.
War das schwer? Nein, sagen Sie. Aber es ist halt nur ein Joghurt. Ich kann mir morgen wieder eines kaufen.
Mit den „großen“ Entscheidungen im Leben tun wir uns um einiges schwerer. Wann ist der „richtige“ Zeitpunkt gekommen, um den Job zu kündigen, der schon lange keine Freude mehr macht? Wann ist es soweit, um eine neue Wohnung zu suchen, weil die jetzige für die ganze Familie schon längst zu klein geworden ist? Wann sich mehr bewegen und wieder gut im eigenen Körper fühlen?
Wir haben Angst vor dem Scheitern.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der nur erfolgreiche Menschen wertgeschätzt werden. Das erzählen uns zumindest Fernsehen und Zeitungen. Wir fürchten uns davor, letztendlich uns selbst und den anderen zugeben zu müssen, dass unser Plan nicht aufgegangen ist. Uns macht die Tatsache Angst, dass es nachher schlechter sein könnte als vorher; dass wir uns bemüht haben, um dann weniger zu haben als jetzt.
Aber kann es denn wirklich schlechter werden? Nein, es kann nur anders werden. Wir bewegen uns in unserem Leben weiter und lernen täglich dazu. Die Rahmenbedingungen, die es gestern gab, wird es morgen in dieser Form nicht mehr geben. Auch wenn der Plan nicht aufgegangen ist, haben wir gewonnen: neue Erfahrungen und neue Handlungsoptionen im Leben, die uns neue Perspektiven aufzeigen, die wir vorher nicht hatten. Wir sind reicher geworden.
Um auf das Beispiel des Joghurts zurückzukommen: Hat uns das gekaufte, neue Joghurt geschmeckt, werden wir es weiterhin kaufen und ähnliche Sorten ausprobieren; hat es uns nicht geschmeckt, haben wir in Erfahrung gebracht, dass wir um diese Sorte künftig einen großen Bogen machen werden.
Wir können die Zeit nicht zurückdrehen.
Sobald wir Entscheidungen treffen, verändern wir den Lauf unseres Lebens. Wir sehen das oft bei Entscheidungen, die uns ohne unsere Zustimmung von außen aufgedrängt werden. Wir verlieren unsere Arbeit oder werden vom Partner verlassen. Wir würden gerne, können die Zeit aber nicht zurückdrehen. Dennoch eröffnen sich uns trotz allem Frust und Leid Möglichkeiten, die wir vorher noch nicht hatten. Auch bei Plänen, die nicht aufgehen, stehen immer auch Alternativen bereit, um nachzujustieren und zu adaptieren.
Dinge, die uns vor einem Jahr Freude bereitet haben, haben heute nicht mehr denselben Glanz. Wir haben uns weiterentwickelt. Wenn wir heute ein Joghurt kaufen, dass uns schmeckt, werden wir morgen das Lieblingsjoghurt unserer Kindheit für immer verschmähen. Wir haben Neues erfahren und werden damit leben. Warum also dem hinterher trauern, dass nicht mehr in unser Leben passt?
Unsere Gewohnheiten geben uns Sicherheit.
Wir haben uns in unseren Gewohnheiten gemütlich eingerichtet, auch wenn wir sie nicht mehr mögen oder sie sogar schädlich für uns sind. Gewohnheiten geben uns Sicherheit. Wir wissen, wie es sich anfühlt und was wir zu erwarten haben. Wir brauchen diese Sicherheiten im Leben: Wie würde es sich anfühlen, wenn wir jeden Tag zum ersten Mal erleben würden? Es wäre sicher spannend, aber es würde uns bald ermüden und überfordern.
Die Sicherheit der Routine hält uns aber oft zurück, Dinge in unserem Leben zu ändern, die nicht mehr aufrechtzuerhalten sind. Es bedarf einer großen Anstrengung, diese dauerhaft zu verlassen und wir werden oft genug rückfällig. Wir haben Angst davor, dass sich unser gesamtes Leben mit einer Entscheidung schlagartig komplett verändert und scheuen den ersten Schritt zu tun. Doch nur eine schrittweise Veränderung und ein Einlernen von einer neuen Routine nach der anderen bringt uns dauerhaft zum gewünschten Ergebnis. Altes und Neues muss sich vermischen dürfen, sonst ist die Sehnsucht nach dem Gewohnten so groß, dass wir aufgeben. Wie beim Wunsch nach dem Joghurt nähern wir uns an.
Den „richtigen“ Zeitpunkt gibt es also nur in uns selbst. Sobald wir uns auf äußere Faktoren verlassen, die uns den „richtigen“ Zeitpunkt anzeigen werden, werden wir ewig verharren. Wenn der Wunsch zu einer Entscheidung in uns so groß ist, dass er sich nicht mehr verdrängen lässt, ist der „richtige“ Zeitpunkt gekommen. Auch wenn die Waschmaschine schon wieder kaputt ist …